Abschuss mit Folgen

Im Visier der Staatsanwaltschaft München sind zwei Jäger, beide offenbar höhere Beamte, die beschuldigt werden, bei einer Jagd im Gebiet zwischen dem Tegernsee und dem Schliersee übers Ziel hinaus geschossen zu haben. Erlegt wurden Rotwild-Muttertiere, aber kein Kalb. Ein Verstoß gegen Tierschutz und Jagdrecht. Die Jägerschaft ist aufgebracht.

Im Bereich der Gindlalm kam es im November vergangenes Jahr zu dem Jagdfrevel.
Im Bereich der Gindelalm kam es im November vergangenen Jahres zu dem Jagdfrevel.

Es ist ein föhnig-warmer und stimmungsvoller Freitag, jener 14. November, als sich die Jagdgesellschaft mit zehn Schützen trifft. „Davon waren mir einige persönlich nicht bekannt“, sagt Gerhart Zwirglmaier, stellvertretender Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten. „Es war eine Bewegungsjagd, wie es viele im Forstbetrieb gibt.“

Vereinbart ist eine Drückjagd, bei der das Wild mit Treibern und Hunden aufgestöbert und vor die wartenden Jäger getrieben wird. Das Jagdgebiet reicht etwa vom Hennerer in Schliersee bis zur Gindel- und Kreuzbergalm. Doch als die Jagd abgeblasen wird, ist das Entsetzen groß: Unter den zehn Stück Rotwild und zwei Rehen sind auch drei Alttiere. Hier bestehe der Verdacht, „dass es sich um zwei führende Stücke gehandelt haben könnte“, schreibt der damalige Forstbetriebsleiter Stefan Pratsch in einem offenen Brief, mit dem er sich „von einer Duldung solcher etwaigen distanziere“.

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In fast zehn Jahren als Jagdleiter sei ihm ein vergleichbarer Fall bislang auch nicht vorgekommen. An besagtem 14. November mit bestem Büchsenlicht haben offenbar drei Schützen unabhängig voneinander womöglich den gleichen Fehler gemacht: Sie schossen scheinbar auf Muttertiere, im Fachbegriff „führende Stücke“, ohne zuerst das Kalb zu erlegen. Sollte dies zutreffen, würde „in Kauf genommen, dass die nun verwaisten Kälber vom Rudel ausgestoßen werden und Gefahr laufen, zu kümmern“, befürchtet Pratsch.

Beamte als Beschuldigte?

Recherchen der Tegernseer Stimme ergeben allerdings ein etwas differenzierteres Bild dieses Jagdfrevels. Denn ganz so freiwillig hat Pratsch offenbar diesen Fall nicht öffentlich gemacht. Nach Aussage des Jagdteilnehmers Andreas Köpferl aus Gmund – er ist als Berufsjäger auch Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft – wollte Pratsch schriftlich aufgefordert werden, den Fall bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.

Denn er erkannte offenbar recht schnell die Brisanz des Falls. Es geht offensichtlich um zwei hochrangige Beamte als Beschuldigte. In Jägerkreisen spricht man von einem Ministerial- und einem Polizeibeamten. Bestätigen will dies die Staatsanwaltschaft nicht, nur so viel: „Das Ermittlungsverfahren richtet sich gegen zwei Beschuldigte wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Bundesjagdgesetz. Die Ermittlungen werden voraussichtlich auch noch einige Zeit andauern“, erklärt Pressesprecher Ken Heidenreich auf Nachfrage.

Für Zwirglmaier aber ist klar, dass „die drei Muttertiere auch von drei Schützen erlegt wurden“. Dies ist kein Widerspruch. Denn nach Informationen der Tegernseer Stimme soll inzwischen ein beschuldigter Jäger gestanden haben.

„Das ist Miesbacher Filz pur“

Vernommen wurden die Zeugen von der Polizeiinspektion Miesbach. Dort ist man fachkundig. Die Leiterin der Inspektion, Katharina Schreiber, ist passionierte Jägerin, ebenso wie ihr Mitarbeiter, der seine Jagdkollegen befragte. Böse Zungen wollen hier schon einen erneuten Fall des „Miesbacher Filzes“ sehen.

Ein Rotwild mit Kalb.
Ein Rotwild mit Kalb

Zweifelsohne ist das Thema hochemotional. Auslöser könnte die Vorgabe des Bayerischen Waldgesetzes sein: Wald vor Wild. Was immer wieder zu heftigen Diskussionen auch außerhalb der Jägerschaft führt. Das Bild vom Jäger, der im Einklang mit der Natur gezielt Wild entnimmt, hat in der Realität oft Schaden genommen. Warnend hob Pratsch in seinem offenen Brief den Zeigefinger:

Professionelles Jagen soll effizient sein, um den Jagddruck auf der Fläche möglichst gering zu halten. Über die Grundsätze der Waidgerechtigkeit im Sinne des Tierschutzes darf sich dabei aber niemand hinwegsetzen.

Oder wie es ein Jäger gegenüber der Tegernseer Stimme beklagt: „Es wäre schön, wenn man das Jagdverhalten wieder in geregelte Bahnen bringen könnte.“ Martin Weinzierl vom Bayerischen Jagdverband erwartet Antworten, „was der Forstbetrieb unternimmt, um solche Vorkommnisse zu vermeiden“.

Zweifel am Ermittlungswillen

Zweifel hegen etliche Jäger, ob die Staatsanwaltschaft den Fall „richtig weiterverfolgt, oder ob der wieder eingestellt wird, wie so oft in diesen Fällen“. So erklärt Gmunds Bürgermeister Georg von Preysing (CSU), selbst Jäger: „Vor Kurzem hat noch ein riesiger Tross von Staatsanwälten unseren Landkreis überrollt. In dieser Angelegenheit hat scheinbar nicht einmal ein einzelner Staatsanwalt Zeit, sich des Falles anzunehmen. Aber vermutlich läuft es wieder nach dem Muster: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Wen von Preysing wohl meint?

Aus dem Schneider ist zumindest Stefan Pratsch. Seit 1. März ist er als Beamter im Ministerium für Landwirtschaft und Forsten tätig. Er sei ein Karrieremensch, sagen die Jäger, die ihn näher kennen. „In Schliersee war seine Position ausgereizt. Im Ministerium geht es weiter.“ Und das dürfte auch unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen so bleiben.

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