“Wir stehen vor einem Kollaps”

Das Thema Asyl belastet den Landkreis in mehr als nur in einer Hinsicht. Die gestrige Sondersitzung des Kreistages offenbarte dabei vor allem eines: Das Landratsamt ist am Limit, teilweise schon darüber hinaus.

In der gestrigen Sitzung des Kreistages kamen teils harte Wahrheiten auf den Tisch.
In der gestrigen Sitzung des Kreistages kamen teils harte Wahrheiten auf den Tisch.

„Stündlich ändern sich die Nachrichten“, sagte eingangs Landrat Wolfgang Rzehak und bat angesichts des sensiblen Themas um Zurückhaltung mit Kritik an der Landes- und Bundespolitik: „Im Mittelpunkt sollen heute unsere Probleme stehen“. Und davon hat sein Amt genügend. Personalchef Alfons Besel: „Wir machen zu 80 Prozent nur noch Asyl. Wir schauen aber nicht wie das Kaninchen auf die Schlange, wir suchen nach Lösungen“.

Um der Lage im nächsten Jahr Herr zu werden, benötigt Besel weitere 18 Fachkräfte im Amt. Diese seien aber nur schwer zu bekommen, denn die Beschäftigung mit Asyl sei nicht „sexy“ für junge Fachkräfte. Für diese müssten auch weitere Räume angemietet werden. Rein rechnerisch würden dann 42 Mitarbeiter nur das Thema Asyl behandeln. Eine Spirale ohne Ende, denn auch Wohnraum gebe der Markt kaum noch her. 34 Wohnungen seien dem Landratsamt gemeldet. Diese würden mit Blick auf den Brandschutz noch auf ihre Eignung geprüft werden.

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Zweitwohnungen für Flüchtlinge?

Aus den Reihen der SPD kam sogar der Vorschlag, in dieser Notsituation die Zweitwohnungsbesitzer im Tal um eine zeitweise Überlassung ihres Eigentums zu bitten. Die Gemeinde Kreuth probte bereits den Ernstfall. Bürgermeister Josef Bierschneider (CSU): „Wir haben die Besitzer von Ferienwohnungen bereits angerufen und bekamen nur Absagen“.

Da auf dem freien Markt nur noch wenig zu beschaffen sei, weil viele Vermieter teils wieder einen Rückzieher machen würden, blieben nur weitere Notquartiere. So werden demnächst in den Gemeinden Valley, Otterfing und Warngau Wohncontainer für jeweils bis zu 60 Personen aufgestellt. Der Standort Miesbach müsste von 200 auf 300 Flüchtlinge „nachverdichtet“ werden.

Denn das „München-Szenario“ mit über 65.000 Flüchtlingen an einem Wochenende im September, als die ungarische Grenze kurz aufgemacht wurde, werde man wohl auch in Miesbach bald zu spüren bekommen. Dies werde dann ohnehin alle bisherigen Planungen über den Haufen werfen.

Immer mehr unbegleitete Jugendliche kommen in den Landkreis.
Immer mehr unbegleitete Jugendliche kommen in den Landkreis.

„Wir sind nicht mehr in der Lage“, so Stefan Köck, Leiter der Abteilung öffentliche Sicherheit, „tagesaktuelle Zahlen zu liefern“. „Gigantisch“ sei, wie viele Jugendliche alleine kommen würden. Eigentlich müsste der Landkreis 116 Kinder aufnehmen, so gibt es die Regierung von Oberbayern vor.

Derzeit seien es aber erst 74, „wenn das so weitergeht, sind auch 500 möglich“, glaubt Kreisjugendamtsleiter Robert Wein, „Ich bekomme schon bei 200 unbegleiteten Minderjährigen einen Schweißausbruch“. Das System überrolle ihn, gestand Wein kürzlich, „wir stehen vor einem Kollaps“. Die Gestrandeten müssten rund um die Uhr von Sozialpädagogen betreut werden, der Markt sei aber leergefegt.

Freiwillige beklagen Amtsschimmel

Die Kreisräte waren sich bewusst, dass ohne die freiwilligen Helfer auch die amtliche Hilfe kollabieren würde. Deswegen dankte man ausdrücklich dem Integrationsbeauftragten des Landkreises, Max Niedermeier. Er berichtete, dass es fast in jeder Gemeinde nun einen Helferkreis Asyl gebe. Etwa 300 Ehrenamtliche kümmern sich derzeit um die Betreuung von Flüchtlingen.

Ein eigener Arbeitskreis Deutsch von Lehrern und der Volkshochschule habe bereits Standards für einheitliche Kurse erarbeitet. Eindringlich bat Niedermeier aber die versammelte Kompetenz des Landratsamtes im Sitzungssaal, seine „Helfer auf Augenhöhe zu behandeln“. Vielfach kämen sie sich als Bittsteller vor und würden in den Amtsstuben scheitern.

Haftpflichtversicherung für Flüchtlinge

Breit diskutiert wurde das Thema „Haftpflichtversicherung für Asylbewerber“. Denn es könne nicht angehen, so die einhellige Meinung unter den Kreisräten, dass Bürger auf ihren Kosten sitzenbleiben würden, wenn Asylbewerber ihr Eigentum beschädigt hätten. Beispielhaft wurden die Flüchtlinge auf Rädern genannt, die ohnehin vielfach schon ein Risiko im Verkehr darstellen würden.

Wenn ein solcher Radler ein Auto beschädige, wer kommt dann für die Kosten auf, fragte auch Josef Lechner (CSU), Bürgermeister von Fischbachau. Josef Lechner (CSU), Bürgermeister von Fischbachau. Er verwies auf zwei Fälle im Landkreis, in denen die Geschädigten leer ausgingen. Man müsse alles tun, auch mit einer solchen Versicherung, dass „die Lunte am Pulverfass nicht entzündet wird“.

Deshalb sei er für diese Haftpflichtversicherung für den gesamten Landkreis, auch wenn diese womöglich 83.000 Euro verschlinge. “Mit einer Versicherung will man die Bürger schützen, auch wenn sich die Haushaltsspirale unablässig weiterdreht”, wandte Martin Walch (SPD) aus Kreuth ein. Angesichts der künftigen Traglufthalle in Rottach-Egern plädierte auch Bürgermeister Christian Köck für den Versicherungsschutz, „um den sozialen Frieden zu erhalten. Denn niemand wisse, was einmal passiere, wenn die Asylbewerber da sind“.

Wer haftet für einen Unfall, wenn Asylbewerber beispielsweise mit Fahrrädern einen Unfall bauen.
Wer haftet für einen Unfall, wenn Asylbewerber beispielsweise mit Fahrrädern einen Unfall bauen.

Im Umfeld gebe es Gewerbebetriebe und den Sportplatz. „Das Asylthema betrifft die ganze Gesellschaft, auch die Versicherungen“, reklamierte Wiessees Bürgermeister Peter Höß (Wiesseer Block). „Daher wünsche ich mir eine Art Feuerwehrtopf der Versicherungen, damit etwaige Schäden beglichen werden können“.

Dagegen spreche, war im Saal auch zu hören, dass die Leute dann sagen würden, den Flüchtlingen zahle man sogar eine Versicherung, während Bürger keine finanziert bekämen. Doch diese Bedenken überzeugten die Mehrheit nicht: mit 27 zu 18 Stimmen wurde die Haftpflichtversicherung für Flüchtlinge angenommen.

Bei all den Horrormeldungen gab es aber auch eine Erfolgsmeldung, die in dieser Tristesse Hoffnung machte: Ein Flüchtling aus Syrien habe es zum Medizinstudium in München geschafft.

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